Viele Angst- und Panikpatienten leiden unter heftigen Schwindelzuständen. Sie fürchten ständig, im Stehen (manchmal auch im Sitzen) umzufallen, einen Kreislaufkollaps zu bekommen, ohnmächtig zu werden oder gar einen Herzinfarkt zu erleiden und infolgedessen zu sterben. Sie erleben sich bei Schwindelattacken oft hilflos verlassen von den Angehörigen oder sonstigen möglichen Rettern. Wegen massiver Schwindelzustände mit Ängsten umzufallen entwickeln viele Menschen nach einer Panikattacke oft eine lebenseinengende Agoraphobie (Platzangst).
Der Angstschwindel ist ein eher diffuser Schwindel, häufig erlebt als Benommenheit, Unsicherheit auf den Beinen, mangelnde Standfestigkeit, Schweben wie auf Wolken, Gehen wie auf Watte, Glatteis oder Schaumgummi, wie wenn man den Kontakt zum Boden verloren hätte, oft verbunden mit Unruhe, manchmal auch mit Übelkeit. Haltungsveränderungen beeinflussen diese Schwindelform kaum. Bei normalem Gang fühlt man sich wie betrunken schwankend.
Menschen mit Panikattacken beschreiben verschiedenartige Schwindelzustände: Benommenheit, Leere im Kopf, schwankende Bewegung des Bodens, der Umwelt oder des eigenen Körpers, Unsicherheit beim Gehen oder Stehen, Gefühl des drohenden Sturzes oder einer bevorstehenden Ohnmacht.
Eine Begleitperson, Sitzen oder Liegen bewirkt oft eine Besserung der Schwindelsymptomatik, Kopfbewegungen können dagegen die Schwindelzustände verstärken.
Viele Agoraphobiker klagen über Schwindel, Ohnmachtsangst und Übelkeit, wurden im Laufe des Lebens jedoch kaum ohnmächtig (dies war nur bei 1% der Agoraphobiker der Fall).
Bei Menschen mit Angststörungen, die über Schwindelzustände klagen, obwohl keine neurologischen oder vestibulären Ursachen festgestellt werden können, lassen sich zwei relativ gut abgrenzbare Syndrome unterscheiden:
- Phobischer Attacken-Schwankschwindel mit und ohne Paniksymptome.
- Psychogene Stand- und Gangstörung. Schreckreaktionen führen zu „weichen Knien“ als Folge der Dominanz des parasympathischen Nervensystems. Ohne subjektiven Schwindel im Kopf fühlen sich die Betroffenen „schwindlig auf den Füßen“. Sie beschreiben ein Schwanken beim Stehen und Gehen und bewegen sich langsam und zögerlich (wie auf Eis). Ständige Angst führt zu chronischer (sympathisch bedingter) Muskelverspannung mit Gleichgewichtsstörungen.
Bei vielen Menschen mit Agoraphobie steht der phobische Attacken-Schwankschwindel mit situativ verstärkter Stand- und Gangunsicherheit ohne subjektiv erlebte Angstsymptomatik im Mittelpunkt des Erlebens. Agoraphobie und phobischer Attacken-Schwankschwindel weisen folgende Zusammenhänge auf:
„Welche zentrale Rolle die Angst beim psychogenen Schwindel einnimmt, zeigt sich nicht zuletzt an der häufigsten umschriebenen klinischen Erscheinungsform des psychogenen Schwindels, dem phobischen Attackenschwindel. Diesen erleiden Patienten in bestimmten sozialen Situationen (Kaufhäuser, Restaurants, Konzerte, Besprechungen, Empfänge) oder angesichts typischer auslösender Sinnesreize (Brücken, leere Räume, Treppen, Straßen, Autofahren). Der Schwindel entspricht von seiner Erlebnisqualität her dem Höhenschwindel und ist durch die Kombination eines Benommenheitsgefühls mit subjektiver Stand- und Gangunsicherheit sowie einer Crescendo-Vernichtungsangst charakterisiert. Im Unterschied zur Agoraphobie oder unspezifischen Panikattacken klagen die Patienten mit phobischem Attackenschwindel nicht in erster Linie über die ‘Angst’, sondern über den ‘Schwindel’, der allenfalls die schreckliche Angst ausgelöst habe. Sie fühlen sich organisch krank. Zum Schwindel führende Sinnesreize und Situationen können rasch konditioniert werden und sich generalisieren. Es bildet sich ein entsprechendes Vermeidungsverhalten aus.“In der Münchner Spezialambulanz für Schwindel war unter 768 Patienten nach dem benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel (20,6%) der phobische Schwankschwindel (16,8%) als zweithäufigste Schwindelart anzutreffen.
Ein phobischer Schwankschwindel ist laut Fachleuten durch sechs Kriterien charakterisierbar
- Der Patient klagt über Schwankschwindel und subjektive Stand-/Gangunsicherheit bei normalem neurologischem Befund und unauffälligen Gleichgewichtstests.
- Der Schwindel wird beschrieben als eine fluktuierende Unsicherheit von Stand und Gang mit attackenartiger Fallangst ohne Sturz, z.T. nur als einzelne unwillkürliche Körperschwankung.
- Während oder kurz nach diesen Attacken werden (häufig erst auf Befragen) Angst und vegetative Missempfindungen angegeben, wobei die meisten Patienten auch Schwindelattacken ohne Angst berichten.
- Die Attacken treten oft in typischen Situationen auf, die auch als externe Auslöser anderer phobischer Syndrome bekannt sind (Brücken, Autofahren, leere Räume, große Menschenansammlungen im Kaufhaus oder Restaurant). Im Verlauf entsteht eine Generalisierung mit zunehmendem Vermeidungsverhalten auslösender Reize.
- Patienten mit phobischem Schwankschwindel zeichnen sich meist durch zwanghafte Persönlichkeitszüge und eine reaktiv depressive Symptomatik aus.
- Der Beginn der Erkrankung lässt sich häufig auf eine initiale vestibuläre Erkrankung (z.B. Neuritis vestibularis) oder besondere Belastungssituationen zurückverfolgen.“
Die illusionäre Wahrnehmungsstörung des Schwankschwindels und der Standunsicherheit der Betroffenen wird dadurch zu erklären versucht, dass viele Schwindelpatienten mit ängstlicher Selbstbeobachtung in übersensibler Weise sensomotorische Regelvorgänge registrieren, die normalerweise unbewusst ablaufen, so dass die beim freien aufrechten Stand entstehenden feinen Körperschwankungen oder unwillkürlichen Kopfbewegungen als beängstigende Beschleunigungen wahrgenommen werden.
Bei Menschen mit Schwindel zeigen sich auffällig oft Angst, Verunsicherung oder Depression. Aktuelle Konflikte oder psychosoziale Stressfaktoren (partnerschaftliche oder berufliche Konflikte, Trennungen, Verluste, existentielle Erschütterungen) bzw. krisenhafte Zuspitzungen bereits seit langem bestehender Probleme lösen dann in bestimmten Situationen recht unangenehme Schwindelattacken aus, die sich die Patienten anfangs überhaupt nicht erklären können, so dass sie wegen des gefürchteten Schwindels eine Vermeidungshaltung im Sinne einer Agoraphobie entwickeln, d.h. ihren Aktionsradius einengen. Das Hauptproblem sind jedoch nicht die vielen situativen Bedrohungsmöglichkeiten, sondern die aktuellen Lebensumstände, die den Betroffenen oft buchstäblich „den Boden unter den Füßen“ weggezogen haben. Angesichts einer bestimmten Lebenssituation kann einem richtig „schwindlig“ werden.
In der Stand- und Gangunsicherheit drücken sich symbolisch oft zentrale Lebensfragen aus
Wie sehr kann man bzw. möchte man auf eigenen Füßen stehen?
Was passiert, wenn man im Leben loslässt und fällt?
Wer oder was fängt einen auf?
Verhaltenstherapeuten, die diesen Hintergrund im Rahmen einer geplanten Konfrontationstherapie bei einer Agoraphobie, die primär durch Schwindelzustände und Fallängste bedingt ist, nicht berücksichtigen, gehen oft am Kern des Problems vorbei.
Eine symptombezogene Behandlung zu Therapiebeginn ist dann sinnvoll,
- wenn eine derartige Therapie dem Wunsch der Betroffenen entspricht (Psychotherapeuten sollen ihren Patienten durchaus in deren Modell begegnen),
- wenn durch eine Konfrontationstherapie rasch wieder ein ausreichendes Selbstvertrauen aufgebaut werden kann, das die Bewältigung der zugrundeliegenden „tieferen“ Probleme ermöglicht (bei psychosozialen Konfliktsituationen wird auf diese Weise die Einengung der individuellen Bewegungsfreiheit rasch beseitigt).
Bei Depressionen äußert sich Schwindel häufig als Leere oder Nebel im Kopf, als eine Art Schleier über Wahrnehmung und Denken, als Benommenheit oder Unsicherheit beim Gehen. Bei einer somatisierten Depression kann Schwindel ein ständig beklagtes Hauptsymptom sein. Schwindel tritt auch im Rahmen einer Neurasthenie auf, d.h. bei einer „nervösen Erschöpfung“.
Schwindel kann durch eine Hyperventilation im Rahmen einer angst- oder wutbedingten Erregung ausgelöst werden. Es kommt zu einer Verschiebung des Sauerstoff-Kohlendioxidverhältnisses im Blut, in weiterer Folge zu Gefäßverengungen und mangelhafter Blut- und Sauerstoffversorgung im Gehirn, was als Schwindel erlebt wird.
Bei älteren Menschen mit Erfahrungen von Stürzen oder längerer Bettruhe äußert sich Schwindel – abgesehen vom typischen Altersschwindel, der Ausdruck einer Mehrfachschädigung ist – häufig als Gangunsicherheit, bewirkt durch die erhöhte Selbstbeobachtung und die ängstliche Erwartung zu fallen, oft auch als Folge einer schlechten körperlichen Konstitution oder einer langzeitigen Tranquilizereinnahme.