Wenn die Angstbewältigung trotz der richtigen Technik nicht gelingen will

Mangelhafte oder ausbleibende Übungserfolge bei der Bewältigung der Panik- / Angsstörung, insbesondere wenn diese in bester Absicht und „technisch“ richtiger Weise angestrebt wurden, sollten Anlass sein, nach den Gründen zu suchen.

Stellen Sie sich folgende Fragen

  • Welche Vorteile könnte ich mit dem Verlust der Angststörung ebenfalls verlieren?
  • Welche anderen Probleme vermeide ich durch meine Angststörung?
  • Welche Auswirkungen hätte die Bewältigung meiner Ängste auf mein Leben, insbesondere auf meine familiäre und berufliche Situation?
  • Was möchte ich nach Beseitigung meiner Ängste tun, und wie wichtig ist mir dies?

Ihre Ängste können die Funktion haben, Sie vor noch größeren Problemen als Ihre Angststörung oder Panikattacken zu bewahren. Werden Sie die wiedergewonnene Freiheit auf Anhieb tatsächlich nützen können? Hinter einer Angststörung kann die Angst vor Verantwortung und Freiheit stehen. Wenn die Fesseln und Ketten der Ängste abgeworfen sind, kann eventuell die Bürde der Verantwortung und der Freiheit sowie der Zwang zur Entscheidung zwischen verschiedenen Alternativen auf Sie warten.

Nach der Beseitigung der Ängste können Sie vielleicht vor der Situation stehen

  • verschiedene Annehmlichkeiten zu verlieren (ständiges Umsorgt werden, viel Zuwendung und Nachsicht, Unterstützung bei der Arbeit) und vieles wieder selbst erledigen zu müssen;
  • als Mutter weiterhin bei den Kindern zu Hause zu bleiben oder berufstätig zu werden, wo man doch am liebsten beides in bestmöglicher Weise miteinander verbinden möchte und sich dabei überfordert sieht;
  • den Arbeitsplatz wegen Unzufriedenheit zu wechseln und dabei das Risiko einzugehen, dies hinterher zu bereuen;
  • sich scheiden zu lassen und neben den Problemen der Partnerschaft auch deren Vorteile zu verlieren;
  • sich als Frau dem Partner gegenüber einerseits besser durchsetzen zu können, andererseits aber deswegen Angst haben zu müssen, seine Liebe zu verlieren;
  • als Jugendlicher von zu Hause auszuziehen und ein selbständiges Leben zu beginnen oder weiter unter den Einengungen durch das Elternhaus zu leiden.

Meiner Erfahrung nach treten bei Konfrontationstherapien oft Endlostherapien mit durchaus sichtbaren Erfolgen auf, die Erfolgserlebnissen bleiben jedoch noch immer unzureichend. Dies ist gewöhnlich unter folgenden Bedingungen der Fall:

Fehlende Bereitschaft zu einer Panikattacke.

Die Betroffenen stellen sich zwar allen Situationen, jedoch nur so, dass sie dabei auf keinen Fall eine Panikattacke erleben. Dies allein hält bereits eine Daueranspannung aufrecht. Ohne die echte Bereitschaft zu einer heftigen Panikattacke wird immer wieder ein Dauerstress bestehen bleiben, weil man ja ständig Vermeidungs- und Unterdrückungsmechanismen anwenden muss.
Die „Angst vor der Angst“ („Was wäre, wenn …“) hält ständige Erwartungsängste aufrecht.

Ärgste Angst wird nicht erkannt oder nicht zugelassen (Was ist die ärgste Angst bei einer Konfrontation?)

Die wichtigsten Fragen bei einer Konfrontation lauten meiner Meinung nach:

  • Was fürchte ich am meisten, wenn ich mich allen Situationen stelle?
  • Welche Situationen fürchte ich am meisten, sodass ich ihnen jetzt noch immer auszuweichen versuche, soweit es geht?
  • Welche Symptome fürchte ich am meisten, sodass alles auftreten kann, nur nicht diese?

Perfektionismus als Mittel der Angstbewältigung.

  • Jeder Perfektionismus („Wenn schon, dann muss ich alles super schaffen“) ist bei einer Konfrontationstherapie schädlich, weil er von der kognitiven Seite her den Stress erhöht.
  • Der Versuch, erlebte positive Erfahrungen mit der Angstbewältigung zu generalisieren auf andere Situationen scheitert an der mangelnden Fähigkeit zur Generalisierung von Erfahrungen, d.h. der hoffnungsvollen Übertragung des Gelernten auf neue Situationen. Der Grund liegt im Perfektionismus: „Es ist jetzt schon 20 mal gut gegangen, doch wer sagt, dass nicht beim 21. mal etwas passieren könnte?“

Sozialphobische Züge in einer agoraphobischen Situation.

Sozialphobische Komponenten halten bei einer Konfrontationstherapie eine ständige Anspannung aufrecht:

  • Was werden sich die anderen denken, wenn sie meine Symptome bemerken?
  • Wenn ich tatsächlich auffalle, bin ich dann „nervenschwach“, „psychisch nicht belastbar“, ein Schwächling, weniger liebenswert, weil schwach?

Die Einnahme oder Verwendung bestimmter Mittel

  • Keine Tranquilizer einnehmen oder mitführen!
  • Keinen Alkohol als Pillenersatz verwenden!
  • Keine Notfallstropfen, denn es besteht kein Notfall!
  • Kein Handy, denn es besteht keine Lebensgefahr!
  • Kein Verlass auf andere Personen (nicht das Vertrauen auf sich selbst durch das Vertrauen auf andere ersetzen!)

Ständige Ablenkungsversuche statt Zuwendung.

Man wird komischerweise eher ruhig, wenn man sich nicht pausenlos abzulenken versucht, sondern sich zu seinen Symptomen hinwendet: „Ich spüre jetzt meinen Schwindel, mein Herzklopfen, meine weichen Knie usw., ich gehe aber dennoch in die Situation und bleibe so lange ich will und nicht so lange mich die Symptome lassen.“

Sekundärer Krankheitsgewinn.

Gibt es letztlich auch Vorteile aus der Angststörung?

  • Was will ich eigentlich vermeiden?
  • Welchen anderen Konflikten gehe ich aus dem Weg, die sofort und unweigerlich auftreten, wenn ich alle Situationen problemlos meisten kann?

Sozialphobische Komponenten halten bei einer Konfrontationstherapie eine ständige Anspannung aufrecht:

  • Was werden sich die anderen denken, wenn sie meine Symptome bemerken?
  • Wenn ich tatsächlich auffalle, bin ich dann „nervenschwach“, „psychisch nicht belastbar“, ein Schwächling, weniger liebenswert, weil schwach?

Aktuell depressive Symptomatik oder depressive Verstimmung

Eine depressive Symptomatik ist u.a. charakterisiert durch eine körperliche und psychische Kraftlosigkeit. Man sollte es daher in einer depressiven Phase gar nicht versuchen, durch eine derartige Aktivierung, wie sie bei einer massierten Konfrontationstherapie erforderlich ist, sein Selbstwertgefühl aufzubauen, denn es kann nur zu einem Misserfolg kommen, der die depressive Symptomatik noch weiter verstärkt. Eine Konfrontationstherapie ist daher höchst ungeeignet, das schwache Selbstbewusstsein in der Depression aufzubauen, weil wieder alles auf Leistung und Durchhalten ausgerichtet ist – was oft genau die Gründe waren, warum es zu einer „Erschöpfungsdepression“ gekommen ist.

Partnerprobleme

Oft stehen hinter einer Agoraphobie mit Panikstörung latente oder offene Partnerprobleme, die anfangs häufig nicht in Zusammenhang mit der Angststörung gesehen werden. Eine Agoraphobie stellt dann eine Pattsituation dar, die den unbefriedigenden gegenwärtigen Zustand aufrecht erhält. Dies ist so lange eine durchaus sinnvolle Problemlösung auf der Symptomebene, als man noch keine Entscheidung darüber getroffen hat, wie es mit der Partnerschaft weiter gehen wird, wenn die Agoraphobie überwunden ist.

Mangelnde Veränderungsziele nach der Konfrontationstherapie

Meine „Wunder-Frage“ nach Steve DeShazer lautet in der Psychotherapie oft: „Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgen in der Früh auf und sind völlig gesund. Was würden Sie da tun? Was würde sich in Ihrem Leben dann ändern?“ Viele Angstpatienten haben vordergründig oft keine anderen Ziele, als ständig nur gegen ihre Ängste zu kämpfen. Stellen Sie sich doch einmal folgende Fragen:

  • Was will ich eigentlich im Leben erreichen, wenn ich keine Symptome habe? Wenn es einem nicht mehr schlecht geht, dann muss es einem noch lange nicht gut gehen!
  • Wofür loht sich der ganze Aufwand?
  • Was würde ich sofort, in einem Monat, in sechs Monaten, in einem Jahr tun, wenn ich keine Ängste (Agoraphobie, Panikattacken) mehr hätte?