Wenn die Agoraphobie trotz Konfrontationstherapie bestehen bleibt

Wenn Sie keine anhaltenden Übungserfolge erzielen, jedoch in bester Absicht und „technisch“ richtiger Weise trainiert haben, sollten Sie nach den Gründen dafür suchen. Wir stellen Ihnen dazu folgende Fragen – bitte beantworten Sie diese wirklich völlig ehrlich und offen!

Fehlt Ihre Bereitschaft zu einer heftigen Panikattacke?

Natürlich ist die Vermeidungsstrategie absolut nachvollziehbar und verständlich – nur: wenn Sie Ihre agoraphobischen Ängste wirklich abbauen möchten, müssen Sie über Ihren Schatten springen! Denn wenn Sie sich allen Situationen nur so stellen, dass Sie eine Panikattacke unbedingt vermeiden möchten, halten Sie eine Daueranspannung aufrecht und bleiben in einem Dauerstress, weil Sie ja ständig Vermeidungs- und Unterdrückungsmechanismen anwenden müssen. Wenn Sie mental und real ständig auf der Flucht sind, werden Sie sich nie an die Situation gewöhnen. Die Angst vor der Angst („Was wäre, wenn …“) hält Ihre Erwartungsängste aufrecht. Es ist hart, aber wirksam: wenn Sie den Mut zu einer Panikattacke aufbringen, besteht die Chance auf rasche Heilung.

Wissen Sie um Ihre ärgste Angst?

Die wichtigste Frage bei einer Konfrontationstherapie lautet: was genau bzw. welche Symptome fürchten Sie am meisten und möchten Sie um jeden Preis vermeiden? Der springende Punkt ist: nur was Sie kennen, können Sie besiegen! Chronische Erwartungsängste können Sie erst dann überwinden, wenn Sie genau wissen, was Sie letztlich fürchten. Haben Sie Angst davor, plötzlich an einem Herzinfarkt zu sterben, ohnmächtig umzufallen, verrückt zu werden oder vor anderen Menschen unangenehm aufzufallen? Wenn Sie diesen Ängsten unbedingt ausweichen möchten, werden Sie durch eine Konfrontationstherapie zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Erfolg verbuchen. Sie kennen doch den Spruch „Viele Wege führen nach Rom“. Sie sollten dann einfach einen anderen Einstieg in die Angstbewältigung finden, z.B. durch die Schritte 2 und 3.

Gehen Sie bei der Angstbewältigung sehr perfektionistisch vor?

Perfektionismus ist eine Form, keine Angst haben zu müssen. Jeder übertriebene Perfektionismus („Wenn schon, dann muss ich alles super schaffen“ oder „120 Prozent ist mir noch viel zuwenig“) ist bei einer Konfrontationstherapie schädlich, weil er den Stress erhöht. Wenn Sie Ihre positiven Erfahrungen nicht auf andere Situationen übertragen können, hat dies oft damit zu tun, dass Sie in perfektionistischer Manier jedes Restrisiko ausschalten möchten, was eben nicht möglich ist. Typisch sind folgende Aussagen: „Es ist zwar schon zehnmal gut gegangen, doch wer garantiert mir, dass auch beim elften Mal nichts passiert?“

Wird Ihre Agoraphobie durch eine Sozialphobie verstärkt?

Sozialphobische Komponenten halten bei einer Konfrontationstherapie eine ständige Anspannung aufrecht: „Was werden sich die anderen denken, wenn sie meine Symptome bemerken?“; „Wenn ich tatsächlich auffalle, bin ich dann ‚nervenschwach’, ‚psychisch nicht belastbar’, ein Schwächling, weniger liebenswert, weil schwach?“

Verwenden Sie bestimmte Mittel, die Ihr Selbstvertrauen schwächen?

Brauchen Sie bestimmte „Krücken“, die letztendlich Ihr Selbstvertrauen untergraben? Sind Sie abhängig von Medikamenten oder anderen vermeintlichen Hilfsmitteln?

Halten Sie sich in diesem Fall an folgende Ratschläge:

  • Nehmen Sie keine Beruhigungsmittel ein und führen Sie auch keine mit sich!
  • Verwenden Sie keinen Alkohol als Pillenersatz!
  • Tragen Sie keine Notfalltropfen mit sich, denn es besteht kein Notfall!
  • Lassen Sie das Handy zu Hause, denn Sie brauchen keine geistige Nabelschnur!
  • Verlassen Sie sich nicht auf andere Personen, ersetzen Sie das Vertrauen auf andere durch das Vertrauen in sich selbst!

Lenken Sie sich ständig ab?

Versuchen Sie, sich ausschließlich auf das Hier-und-Jetzt zu konzentrieren. Sie werden erleben, dass Sie eher ruhig werden, wenn Sie sich nicht pausenlos ablenken, sondern sich Ihren Symptomen zuwenden: Sätze wie „Ich spüre jetzt
meinen Schwindel, mein Herzklopfen und meine weichen Knie, ich stelle mich aber dennoch der Situation und bleibe so lange wie ich will und nicht so lange wie mich die Symptome lassen“ können dabei helfen, „bei der Sache“ zu bleiben.
Ablenkung ist nur bei einer heftigen Panikattacke eine wirksame Hilfe.

Haben Sie durch Ihre Symptome auch einen Gewinn?

Wenn Sie sich ständig mit den scheinbar übermächtigen Problemen einer Agoraphobie mit Panikstörung beschäftigen, kann dies auch eine Vermeidungsstrategie sein. Sie können sich damit kurzfristig von den eigentlichen privaten, familiären, partnerschaftlichen, sozialen, beruflichen oder ökonomischen Problemen ablenken. Welche anderen Probleme vermeiden Sie durch Ihre Agoraphobie?

Wenn Sie die Ketten der Ängste gesprengt haben, warten vielleicht die Bürde der Verantwortung und der Freiheit sowie der Zwang zur Entscheidung zwischen verschiedenen Alternativen auf Sie.

Nach der Beseitigung der Ängste können Sie vielleicht vor der Situation stehen,

  • verschiedene Annehmlichkeiten und Vorteile zu verlieren (ständiges Umsorgtwerden, viel Zuwendung und Nachsicht, Unterstützung bei der Arbeit) und vieles wieder selbst erledigen zu müssen;
  • den Arbeitsplatz wegen Unzufriedenheit zu wechseln und dabei das Risiko einzugehen, dies hinterher zu bereuen;
  • sich scheiden zu lassen und neben den Problemen der Partnerschaft auch deren Vorteile zu verlieren.

Leiden Sie gleichzeitig auch unter einer depressiven Symptomatik?

Eine depressive Symptomatik ist u.a. charakterisiert durch eine körperliche und psychische Energielosigkeit. Achtung – Sie sollten in einer depressiven Phase keine kraftaufwendige Konfrontationstherapie durchführen, um Ihr Selbstwertgefühl aufzubauen. Es kann nur zu einem Misserfolg kommen, der Ihre depressive Symptomatik noch weiter verstärkt. Sie müssen zuerst Ihre depressive Symptomatik in den Griff bekommen, bevor Sie ein Angstbewältigungstraining
angehen.

Haben Sie gleichzeitig auch eine Persönlichkeitsstörung?

Manche Angstpatienten haben „mehr“ als eine reine Angststörung, nämlich eine so genannte Persönlichkeitsstörung mit stark verfestigten Mustern des Verhaltens, Denkens und Fühlens. Fragen Sie einen Fachmann, ob man bei Ihnen z.B. eine ängstliche oder abhängige Persönlichkeitsstörung bzw. eine so genannte Borderline-Persönlichkeitsstörung ausschließen kann. Wer von seiner Persönlichkeitsstruktur her immer schon sehr ängstlich war oder ständig von anderen Menschen abhängig gelebt hat, wird durch eine reine Konfrontationstherapie seine Verhaltensweisen nicht schlagartig ändern können.

Haben Sie bestimmte psychosoziale Belastungssituationen (Probleme in der Ehe, Familie oder Arbeit)?

Stehen hinter Ihrer Agoraphobie mit Panikstörung latente oder offene Partnerprobleme, die Sie anfangs nicht in Zusammenhang mit Ihrer Angststörung gesehen haben? Ist Ihre Platzangst im Rahmen von Konflikten mit den Eltern aufgetreten? Oder haben berufliche Probleme einen maßgeblichen Anteil? Ihre Agoraphobie schafft dann eine Pattsituation! Das bedeutet, dass die Platzangst Ihre unbefriedigende Lebenssituation aufrechterhält und das Problem vorläufig nur auf der Symptomebene abgehandelt wird. Dieser Zustand wird andauern, solange Sie noch keine Entscheidung darüber getroffen haben, wie es etwa mit Ihrer Partnerschaft weitergehen soll, wenn Sie Ihre Ängste überwunden haben. Klären Sie also offen und ehrlich: welche Auswirkungen hätte die Bewältigung Ihrer Ängste auf Ihr Leben, insbesondere auf Ihre familiäre, soziale und berufliche Situation?

Fehlen Ihnen Veränderungsziele nach der Konfrontationstherapie?

Stellen Sie sich vor, Sie wachen frühmorgens auf und sind völlig gesund. Was würden Sie da tun? Was würde sich in Ihrem Leben dann ändern? Wie wichtig sind Ihnen wirklich alle Möglichkeiten, die Ihnen nach der Beseitigung Ihrer Ängste offen stehen? Viele Angstpatienten haben vordergründig oft keine anderen Ziele, als ständig nur gegen ihre Ängste zu kämpfen. Dies zeigt die inhaltliche Leere des Lebens auf, die es durch eine Sinnperspektive zu berwinden gilt. Setzen Sie sich Ziele, auf die Sie sich freuen, suchen Sie sich neue Hobbys, spüren Sie nach, was Sie wirklich wollen im Leben!