Ängstliche Erwartung
Die Erwartungsangst („Angst vor der Angst“, d.h. die Angst vor den körperlichen Symptomen) wird oft zur Hauptursache für eine massive Beeinträchtigung des allgemeinen Funktionsniveaus. Sie kann sich in zwei Formen äußern:
- Erwartungsangst hinsichtlich typischer oder atypischer Paniksymptome,
- ständige generelle Alarmbereitschaft, verbunden mit dem Gefühl der Unsicherheit, der Unfähigkeit oder der Bedrohung der physischen bzw. psychischen Integrität.
Inhalt
Phobische und vermeidende Tendenzen
In der klinischen Praxis hängen Panikstörung und Agoraphobie oft eng zusammen. Das ständige Vermeidungsverhalten stellt einen Bewältigungsversuch von Panikattacken und Erwartungsängsten dar.
Klaustrophobie
Hinter einer Klaustrophobie (Vermeidung von geschlossenen Räumen) steht oft die Überempfindlichkeit gegenüber potentiellen Einschränkungen der Atmung, inklusive der Einschränkung der Luftwege durch Sitzgurte im Auto, Kravatten, geschlossene oberste Hemdknöpfe, Schlucken von Tabletten.
Diese Gegebenheiten passen zu der Theorie von Klein, dass Panikattacken durch Atemnot und Erstickungsgefühle (erhöhte CO2-Sensitivität) ausgelöst würden. Bestimmte Angstzustände sind in diesem Sinne eher der Panikstörung zuzuordnen als einer spezifischen Phobie.
Eine Liftphobie kann im Extremfall damit begründet werden, dass im Falle des Steckenbleibens des Aufzugs und fehlender Hilfe die Luft im Aufzug knapp werden könnte.
Sozialphobien
Einige Sozialphobien zählen ebenfalls zur Panikstörung. Eine soziale Vermeidungstendenz wird oft mit der Angst vor dem öffentlichen Auftreten von Paniksymptomen begründet, was als Verlust des Sozialprestiges gefürchtet wird („Was werden sich die anderen denken, wenn sie sehen, welche Zustände ich plötzlich bekomme?“, „Wie komme ich rechtzeitig davon, damit niemand meine Symptome sieht?“).
Hypochondrie
Krankheitsängste und Hypochondrie hängen oft mit der Fehlinterpretation körperlicher Symptome als lebensgefährlich zusammen, wie dies ei Panikattacken typisch ist: Herzrasen als Zeichen eines Herzinfarkts, Kopfschmerzen als Vorboten eines Hirnschlags oder Kopftumors, leichte Atemprobleme als Vorzeichen eines Asthma- oder Erstickungsanfalls, Magenschmerzen als Zeichen von Magenkrebs.
Die Beschäftigung mit medizinischen Themen (Lesen entsprechender Bücher oder Artikel, Gespräche oder Filme über Krankheiten) verstärkt oft krankheitsbezogene Ängste. Die Bewältigung dieses Problems wird jedoch nicht durch ständige Vermeidung, sondern nur durch angemessene Konfrontation mit den angstmachenden Inhalten gelingen. Die Fülle der medizinischen Informationen in diesem Buch ist für bestimmte Angstpatienten nicht beruhigend, sondern verstärkt angstmachend.
Das Vermeiden von Medikamenten kann ebenfalls Ausdruck einer panikartigen Phobie sein. Verschiedene Panikpatienten reagieren auf jedes Medikament im wahrsten Sinn des Wortes „allergisch“. Jede angeführte Nebenwirkung des Medikaments auf dem Beipackzettel wird gefürchtet oder bereits am eigenen Leib erlebt, was die Compliance (Verhalten entsprechend den ärztlichen Anordnungen) erschwert.
Manchmal besteht gegenüber psychotropen Medikamenten sogar die irrationale Angst der Persönlichkeitsveränderung und des Verlusts der Selbstkontrolle.
Hinter der Angst vor dem Einschlafen und der damit verbundenen Verzögerung des Schlafengehens verbirgt sich nicht selten die Angst vor einer Panikattacke oder sogar die Angst vor dem Tod im Schlaf. In gleicher Weise wird oft eine Narkose gefürchtet.
Die Furcht vor bestimmten Wetterbedingungen (Gewitter, Stürme usw.) kann ebenfalls mit erlebten oder gefürchteten panikähnlichen Zuständen zusammenhängen.
Bedürfnis nach Beruhigung durch andere
Menschen mit Panikstörung und Agoraphobie verlassen sich aufgrund ihrer Unsicherheit und Angst gerne auf die Hilfe anderer, weshalb sie rasch davon abhängig werden. Ärzte und Therapeuten stellen ebenfalls überschätzte Sicherheitsgarantien dar.
Psychotherapien können deswegen oft nicht beendet werden, weil die vertraute Sicherheit dadurch verloren gehen würde.
Abergläubische Verhaltensweisen (z.B. bestimmte Gegenstände als Talisman) werden dann eingesetzt, wenn das Vertrauen in die eigenen Kräfte fehlt.
Empfindlichkeit gegenüber Substanzen verschiedenster Art
Die erhöhte Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Substanzen ist ein typisches Merkmal bei vielen Panikpatienten. Mehrere Tassen Kaffee, etwas mehr Alkohol als gewöhnlich, eine geringe Menge bestimmter Medikamente (z.B. Antidepressiva) oder verschiedene Drogen (z.B. Ecstasy) können Panikattacken auslösen.
Der Beginn einer Pharmakotherapie mit der Zieldosis ohne einschleichendes Vorgehen sowie ein relativ rasches Absetzen von Medikamenten wie Tranquilizern und Antidepressiva führt bei vielen Panikpatienten zu mehr Problemen als bei anderen Menschen.
Viele Menschen mit einer Panikstörung neigen zu Panikattacken, wenn die üblichen Richtlinien zur Dosisreduktion von Tranquilizern angewandt werden, so dass vielfach ein langsameres Absetzen angebracht erscheint. Im Falle einer Alkoholentzugsbehandlung treten bei Panikpatienten ebenfalls eher Panikattacken auf als bei anderen Personen.
Erhöhte Stressempfindlichkeit
Unter Laborbedingungen reagieren Panikpatienten nicht stärker auf Stress als andere Versuchspersonen, verschiedene Studien haben jedoch ergeben, dass Panikpatienten für stressende Lebensereignisse besonders empfindlich sind. Ein geringer Alltagsstress kann bei einem Schlafdefizit, Überarbeitung u.a. zu Panikattacken führen.
Die erhöhte Stressempfindlichkeit kommt auch in paradoxer Weise zum Ausdruck, und zwar durch das Auftreten von Panikattacken in der Phase der Entspannung nach einem stressreichen Ereignis (z.B. Herzrasen nach einer anstrengenden Autofahrt, Verlassen eines überfüllten Kaufhauses, Ausrasten nach einer sportlichen Betätigung, Hinlegen nach vollbrachter Arbeit).
Erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Trennungs- oder Verlusterfahrungen
Im klinischen Alltag fällt auf, dass viele Panikpatienten gegenüber Trennungs- und Verlusterfahrungen empfindlicher reagieren als andere Menschen, unabhängig davon, ob bestimmte traumatisierende Verlusterfahrungen in der Kindheit gegeben waren.
Trennungsängste als Ausdruck der Panikstörung können sich in der Kindheit als Schulphobie äußern oder als Unmöglichkeit, allein im Zimmer zu schlafen, insbesondere wenn kein Licht aufgedreht ist, im Erwachsenenalter als Unfähigkeit, wegen einer Arbeit das schützende Haus zu verlassen oder allein zu verreisen aus beruflichen oder privaten Gründen.
Menschen mit erhöhter Sensibilität für Verluste reagieren oft bereits bei der Gefahr von Verlusten mit panikähnlichen Symptomen (z.B. nach einem heftigen Ehestreit, beim Gedanken an Trennung aus eigener Initiative oder bei der Befürchtung, der Partner könnte die Beziehung beenden, beim Gedanken an den möglichen Tod bestimmter Angehöriger). Partner werden nach dem Prinzip absoluter Verlässlichkeit ausgesucht. Partnerschaften sind daher entsprechend eng, um jedes Gefühl von Alleinsein zu vermeiden. Jede Bedrohung dieser symbiotischen Beziehung bewirkt panikartige Ängste.