Als Hintergrund, als Boden für die erste Panikattacke, gilt ein allgemein erhöhtes Stressniveau. Die erste Panikattacke tritt meistens in der Zeit einer erhöhten Stressbelastung auf (körperlich, psychisch, geistig, sozial, familiär, beruflich, finanziell). Vor der Auslösesituation der ersten Panikattacke finden sich oft Überlastungen oder chronische Konflikte (z.B. in der Partnerschaft oder am Arbeitsplatz).
Die erste Panikattacke entsteht gewöhnlich im Rahmen einer Kombination von zwei Arten von Stressfaktoren
Psychophysiologische (körperliche) Belastung
Niedriger Blutdruck, Blutdruckabfall, Allergie, Genesungsphase nach einer Krankheit (z.B. plötzliches Aufstehen nach einer Grippe), prämenstruelle Phase, Schwangerschaft, Geburt, zuviel Kaffee, Alkohol oder Drogen, körperliche Aktivierung nach längerer Inaktivität usw.
Psychosoziale Belastung
Völlig unerwarteter Todesfall oder schwere Erkrankung eines Angehörigen (oft Herzinfarkt oder Krebs), akute familiäre oder berufliche Konflikte, Trennungserlebnisse, Kündigung usw. Panikattacken lassen sich durch das Stressmodell erklären. In Phasen eines allgemein hohen Anspannungsniveaus kann schon eine alltägliche Stress-Situation (z.B. eine kleine Verletzung) zum Auslöser für eine Panikattacke werden. Panikattacken sind zu verstehen als besonders dramatisch ablaufende Alarmreaktionen auf Stress oder auf eine Häufung von Stressoren. Im Laufe der Zeit verselbständigt sich dieses Angsterleben aufgrund von kognitiven Prozessen als permanente Angst vor einem Panikanfall (Erwartungsangst), was die allgemeine Anspannung erhöht. Die Unfähigkeit, sich die Symptome erklären zu können (obwohl die psychosozialen Belastungen durchwegs als solche wahrgenommen werden), verstärkt die Ängste.
Bei über 90% der Betroffenen beginnt die Panikstörung mit einer Panikattacke an einem öffentlichen Ort oder außerhalb von zu Hause bei einer bislang ganz normalen Betätigung. Der entsprechende Ort (z.B. Geschäft, Lokal, Kino, Arbeitsstelle, Wartesaal, Bus) wird fluchtartig verlassen und zukünftig angstvoll gemieden. Die erste Panikattacke beginnt häufig mit einem kollapsähnlichen Zustand bei geschwächter körperlicher Kondition und gleichzeitig gegebenem psychosozialen Stress, dem eine massive Kreislaufankurbelung zur Verhinderung einer Ohnmacht folgt.
Nach der Münchner Verlaufsstudie wurden bei ca. 80% der Betroffenen vor der ersten Panikattacke schwerwiegende Lebensereignisse festgestellt, oft sogar mehr als eine Belastung. Zumeist handelte es sich um Tod oder plötzliche, schwere Erkrankung von nahen Angehörigen oder Freunden, Verlust durch Scheidung oder Trennung, Erkrankung oder akute Gefahr der Betroffenen, Schwangerschaft oder Geburt.
Nach einer englischen Untersuchung an 1000 Agoraphobikerinnen entstand die erste Panikattacke bei 32% nach einem schwerwiegenden Ereignis (Trennung vom Partner, Arbeitsplatzverlust usw.), bei 27% nach dem Tod oder einer schweren Erkrankung eines Angehörigen oder Freundes, 6% der Patientinnen waren Zeugen des Unglücks anderer. Eine weitere englische Studie ergab, dass Panikpatienten im Jahr vor ihrer ersten Panikattacke zweimal häufiger von widrigen und unglücklichen Lebensumständen betroffen waren als gesunde Personen.
Dazu zählten eigene Krankheit, Unfall und/oder Operation, Trennung vom Partner und finanzielle Schwierigkeiten.
Panikpatienten haben nicht mehr Stress als die Normalbevölkerung zu bewältigen, sie bewerten die Belastungen jedoch viel negativer, weil sie aufgrund ihres größerenSicherheitsbedürfnisses mit möglicher Bedrohung und Unsicherheit nicht gut umgehen können, was oft lebensgeschichtlich verständlich ist (z.B. ängstliche Mutter, Herzkrankheiten, Asthma, Schlaganfall, Krebs, unerwartete Todesfälle in der Familie oder Bekanntschaft). Am belastendsten ist jener Stress, den man gerne kontrollieren möchte, jedoch bei noch so viel Aufwand nicht kontrollieren kann. Als Folge davon entwickelt sich eine „erlernte Hilflosigkeit“, die zu Resignation, depressiver Erschöpfung und vermehrten Erwartungsängsten führt.
Faktoren im Überblick
Auslösefaktoren für die erste Panikattacke (auch für spätere Panikanfälle) können zahlreiche körperliche, ernährungsbedingte, sozioökonomische, ökologische, soziale, familiäre und psychische Stressoren sein:
- Tod eines Angehörigen oder Bekannten.
- Andere Verlustereignisse: Trennung vom Partner, Auszug der Kinder, Umzug.
- Krankheitsängste: Krankheiten in der Familie, Verwandtschaft oder
- Bekanntschaft (Herzinfarkt, Asthma, Krebs), eigene Erkrankung, bevorstehende Operation.
- Massive familiäre Belastungen (durch Eltern, Partner, Kinder), Trennungsängste.
- Unverarbeitete Lebensereignisse: Gewalt, Missbrauch, Unfall, Scheidung der Eltern.
- Heftige Emotionen: Erregtheit, Ärger, Streit, Unterdrückung von Aggressionen.
- Massive Zukunftsängste oder berufliche/wirtschaftliche Sorgen: drückende finanzielle Sorgen, Unsicherheit des
- Arbeitsplatzes, Arbeitsplatzverlust oder -wechsel.
- Stellvertretende Erfahrungen: Lesen von Artikeln, die medizinische Symptome,
- Krankheiten oder Katastrophen beschreiben, Miterleben von Schicksalsschlägen oder Symptomen bei anderen.
- Ungesunde, stressreiche Lebensführung ganz allgemein (übermäßiger Zeitdruck, berufliche Überlastung usw.), die zu Erschöpfung führen kann.
- Allergien: die gesteigerte Abwehr von verschiedenen auf den Körper einwirkenden Substanzen führt zu Entzündungen und Gefäßerweiterungen (bis zum Kollaps).
- Hormonelle Störungen: Schilddrüsenüberfunktion, Hormonstörungen bei Frauen.
- Bestimmte Krankheiten: Lebererkrankung, Virusinfektion, Mangel an Vitamin B1, Störungen im Kalziumhaushalt.
- Nebenwirkungen von Medikamenten: Blutdrucksenkung, allergische Reaktion u.a. Alkohol, Drogen, Koffein und Nikotin: übermäßiger Konsum bzw. Entzug.
- Unterzuckerung (Hypoglykämie): Zuckerabfall mit panikartigem Zustand, z.B. bei Abmagerungskuren, zuviel Alkoholkonsum, schwerer körperlicher Arbeit, bei Zuckerkranken wegen eines falsch eingestellten insulinpflichtigen Diabetes.
- Kreislaufschwankungen bzw. Kreislaufstörungen durch zuviel Koffein oder Nikotin, Kater, Alkohol- oder Medikamentenentzug, Zuckerabfall, Sportübungen, Müdigkeit oder Erschöpfung, Hitze bzw. schwüles Wetter, Krankheit, allergische Reaktionen, prämenstruelle Angespanntheit, Schwangerschaft.
- Generell niedriger Blutdruck (z.B. 95/65), der in Schrecksituationen noch weiter abfällt (Kollapsneigung), so dass Herzrasen blutdruckerhöhend wirkt, um eine weitere Sauerstoffunterversorgung und daraus folgende Ohnmacht zu verhindern.
- Langes Stehen ohne Bewegung (orthostatische Hypotonie): das Blut geht in die Beine, so dass im Kopf zuwenig Blut und Sauerstoff vorhanden sind.
- Hemmung der Fluchtreaktion in einer bestimmten Situation (Bus, Geschäft usw.) mit der Folge einer sog. vagovasalen Ohnmachtsneigung. Man kann bzw. will eine belastende Situation nicht verlassen, obwohl der Körper für eine Fluchtreaktion aktiviert ist. Es kommt dabei zu einer vermehrten Durchblutung der Muskulatur (spürbar als Muskelverspannung) und mangels Bewegung (oft Erstarrung im Schreck) zu einem verminderten Blutrückfluss zum Herzen, so dass weniger Blut in den Kreislauf gepumpt werden kann, was sich bereits nach Sekunden als Schwindel und später als Ohnmachtsneigung bemerkbar macht.
- Hyperventilation: in Belastungssituationen erfolgt oft ein zu rasches und zu flaches Atmen mit angstmachenden körperlichen Folgezuständen. Zwischen den Diagnosen Agoraphobie/Panikstörung und Hyperventilationssyndrom besteht eine Überlappung von etwa 60%.