Verlauf und Folgen der generalisierten Angststörung

Ausbreitung

In der amerikanischen Bevölkerung kommt die generalisierte Angststörung lebenszeitbezogen bei 5,1%, innerhalb des letzten Jahres bei 3,1% und innerhalb des letzten Monats bei 1,6% vor (nach ICD-10-Kriterien lebenszeitbezogen bei 8,9%). Die Störung zeigt sich lebenszeitbezogen bei 6,6% der Frauen und 3,6% der Männer, innerhalb des letzten Jahres bei 4,3% der Frauen und 2,0% der Männer, innerhalb des letzten Monats bei 2,1% der Frauen und 1,0% der Männer.

Es besteht eine Lebenszeit-Komorbidität von 90,5%, d.h. die Betroffenen weisen zumeist auch noch mindestens eine andere psychische Störung auf. Aktuell (auf die letzten 30 Tage bezogen) zeigte sich bei beachtlichen 66,3% eine weitere psychische Störung, während nur ein Drittel eine reine generalisierte Angststörung aufwies.

Von den Betroffenen fühlten sich 49% im Leben deutlich beeinträchtigt, suchten 66% irgendeine Form von Hilfestellung und nahmen 44% Medikamente.

Nach verschiedenen Autoren weisen 85-91% der Betroffenen mindestens eine weitere Störung auf, mehrheitlich eine zusätzliche Angststörung.

Am häufigsten finden sich gleichzeitig eine spezifische Phobie (29-59%) oder eine soziale Phobie (16-33%). Ein schweres depressives Syndrom (14%) sowie eine Dysthymie (6-33%) waren seltenere Zweitdiagnosen.

Beginn & Ursachen

Eine generalisierte Angststörung beginnt im Gegensatz zur Panikstörung meist langsam. Die Betroffenen werden wegen der zahlreichen anhaltenden körperlichen Symptome meist nur medikamentös behandelt, vor allem mit Medikamenten für Schlafstörungen und Nervosität. Die Grundkrankheit wird oft übersehen.

Rund ein Drittel der Personen mit einer generalisierten Angststörung war laut eigenen Angaben bereits lange vor Beginn der Störung nervös und ängstlich. Eine generalisierte Angststörung beginnt in der Regel in jüngerem Alter als eine Panikstörung, und zwar meist vor dem 20. Lebensjahr. Ein zweiter Altersgipfel liegt zwischen dem 30. und dem 35. Lebensjahr.

Unter den Patienten mit Angststörungen ist diese Patientengruppe nur mit 10% vertreten. Menschen mit generalisierter Angststörung sind in klinischen Stichproben im Vergleich zu ihrer Häufigkeit in der Bevölkerung zwar unterrepräsentiert, zeichnen sich dort allerdings durch einen sehr hartnäckig-chronischen Verlauf über viele Jahre aus.

Lebensverändernde Ereignisse (z.B. Heirat) können den Verlauf einer generalisierten Angststörung oft nicht beeinflussen. Mit der Fortdauer der Störung nehmen Anzahl und Ausprägungsgrad der Symptome zu. In Belastungssituationen tritt häufig eine Verschlechterung auf. Wenn die Störung länger als ein Jahr andauert, lassen sich oft auch andere Störungen feststellen, insbesondere soziale Phobie, Dysthymie (lang andauernde, leichte depressive Verstimmung), Medikamentenmissbrauch und Persönlichkeitsstörungen, vor allem eine ängstliche oder zwanghafte Persönlichkeitsstörung.

Unterscheidung zwischen generalisierter Angststörung und anderen Angststörungen

Die Ängste bei einer generalisierten Angststörung weisen vielfältigste Inhalte auf und sind nicht auf bestimmte Thematiken begrenzt, wie dies bei anderen (Angst-)Störungen der Fall ist: Angst vor einer Panikattacke (Panikstörung), Angst vor fehlender Fluchtmöglichkeit (Agoraphobie), Angst vor Kritik (Sozialphobie), Angst vor Verunreinigung (Zwangsstörung), Angst vor dem Wiedererleben bestimmter traumatisierender Erfahrungen (posttraumatische Belastungsstörung), Angst vor einer ernsthaften Erkrankung (Hypochondrie), Angst vor vielfältigen Körpersymptomen (Somatisierungsstörung).

Im Vergleich zu Panikpatienten stehen bei Menschen mit einer generalisierten Angststörung eher andere körperliche Beschwerden im Vordergrund: Übelkeit, Kopfschmerzen, Anspannung und Schlafstörungen.

Gegenüber Sozialphobikern, die sich „nur“ vor sozialen Situationen fürchten, in denen sie etwas leisten müssen und beurteilt werden könnten, sind die Ängste unabhängig von sozialen Situationen. Im Vergleich zu Depressiven klagen die Betroffenen weniger über Interessenverlust oder psychomotorische Verlangsamung und grübeln auch weniger über Selbstmord oder Schuldthematiken. Gegenüber dem Grübelzwang von Menschen mit einer Zwangsstörung lässt sich das ständige Sorgen von Personen mit generalisierter Angststörung klar abgrenzen. Das Sorgen ist realistischer, ich-näher und weniger aufdringlich als das Grübeln.

Generalisierte Angststörung – Sorgen als kognitive Vermeidungsstrategie

Ständiges Sich-Sorgen gilt als das zentrale Merkmal der generalisierten Angststörung. Die Sorgen können nicht kontrolliert werden und beanspruchen deshalb die Aufmerksamkeit in übermäßiger Weise. Je weniger die ständig wechselnden Sorgen bewältigt werden können, umso mehr erfolgt eine Aufmerksamkeitseinengung darauf, während gleichzeitig die anfallenden Aufgaben des Alltags immer stärker vernachlässigt werden. Dies führt zum Eindruck, das Leben nicht bewältigen zu können, was das Gefühl des Kontrollverlusts verstärkt, sodass im Sinne eines Teufelskreises eine weitere Einengung auf die Sorgen und die eigene Unfähigkeit erfolgt. Das Grübeln wird weiterhin als Problemlösungsmittel angesehen, während die Offenheit für nicht-angstbezogene Gegebenheiten völlig verloren geht.

Nach dem kognitiven Modell von Borkovec sind die anhaltenden Sorgen und Grübeleien eine kognitive Vermeidungsreaktion angesichts von unerwünschten emotionalen Zuständen (emotionale Bedrohung und psychovegetative Erregtheit), analog zur offenen motorischen Vermeidung bei der Agoraphobie. Sie lenken ab von Gegebenheiten, die noch mehr Angst und emotionale Betroffenheit bewirken. Das Sorgen dämpft die emotionale Verarbeitung und verhindern damit körperliche Symptome.

Das unaufhörliche Sich-Sorgen wird als „negative Verstärkung“ angesehen. Sorgen stellen insofern negative Verstärker dar, als sie die körperlichen und psychischen Komponenten bei negativen emotionalen Erfahrungen reduzieren. Trotz des Leidens unter den ständigen Sorgen halten die Betroffenen das Sorgen nicht für sinnlos, sondern für ähnlich wirksam wie magische, abergläubische Praktiken. Wenn man sich nur ausreichend über die gefürchteten Ereignisse sorgt, werden sie schon nicht eintreten. Die Sorgen bei einer generalisierten Angststörung sind ständig wechselnd, oft diffus und wenig bildhaft. Bildhafte Vorstellungen konkreter, negativer Inhalte lösen psychovegetative Symptome aus, die es zu vermeiden gilt. Obwohl die ständigen Sorgen über alles und jedes als recht belastend erlebt werden, verhindern sie doch noch unangenehmere Zustände. Gedanken und Sätze mit unangenehmem Inhalt sind emotional weniger belastend als konkrete bildhafte Vorstellungen. Dies kann durch ein Zu-Ende-Denken einer ganz bestimmten Sorge auf plastisch-bildhafter Ebene leicht überprüft werden. Wenn bei der Besorgtheit abstrakt-gedankliche Prozesse dominieren und bildhafte Vorstellungen vermieden werden, werden körperliche Symptome unterdrückt oder nur vermindert wahrgenommen.

Menschen mit generalisierter Angststörung grübeln den ganzen Tag vor sich hin, mehrheitlich über Kleinigkeiten des Alltags nachdenkend, ohne je zu einem konkreten Ergebnis zu gelangen. Die Entscheidung zu einer bestimmten Bewältigung eines Problems löst sofort Angst aus, sodass wiederum der Weg zurück in die Unentschiedenheit des Grübelns gewählt wird, ohne dass eine vollständige kognitive und emotionale Bearbeitung einer tatsächlichen oder vermeintlichen Bedrohung erfolgt. Auf diese Weise wird der Mechanismus der generalisierten Angststörung aufrechterhalten.

Ein derartiges Verständnis der generalisierten Angststörung legt eine bestimmte therapeutische Vorgangsweise nahe, nämlich eine massierte mentale Konfrontation mit einer ganz bestimmten Sorge im Sinne eines bildhaften Zu-Ende-Denkens des Problems (Konfrontation in sensu). Dadurch werden die Ängste intensiv und konkret emotional erlebbar. Die Effizienz der verhaltenstherapeutischen Konfrontationstherapie wird nicht nur bei der Agoraphobie, sondern auch bei der generalisierten Angststörung deutlich. Ängste können nur überwunden werden, indem sie sowohl kognitiv als auch emotional ohne Vermeidung bewältigt werden. Die emotionale Bewältigung von Sorgen im Rahmen einer Konfrontationsbehandlung ist mit einer starken, recht unangenehmen psychovegetativen Aktivierung verbunden.