Euthonie

Was ist Euthonie

Generelle Erklärungen

EUTONIE giechisch: eu = wohl, recht, harmonisch; tonos = Spannung

Begründet wurde die Eutonie von Gerda Alexander, die über Jahrzehnte die Grundgedanken der Eutonie in Theorie und Praxis entwickelte. In jungen Jahren erkrankte sie – sie saß im Rollstuhl. Die Ärzte geben ihr keine Hoffnung auf Besserung oder Heilung. In dieser Situation begann sie ihren Körper zu erforschen, zu fühlen, zu spüren – zu erleben. Es gelang ihr, durch ihre selbsterarbeitete eutonische Arbeit vollständig zu genesen.

Eutonie ist ein westlicher Weg zur Erfahrung der körperlichen Einheit des Menschen. Eutonie ist kein ein für alle male zu erreichender Zustand, sondern ein dynamischer Prozess, der immer neu realisiert werden muss, wenn seine Wirkung von Dauer sein soll – doch führt die Aktivität, die zu dieser stetigen Erneuerung notwendig ist, zu beglückenden Erfahrungen und Ausblicken, die auf eine neue menschliche Daseinsform hinweisen. Es ist kennzeichnend für die Praxis der Eutonie, dass ein jeder sie anders erfährt, als einen Weg auf dem das Leben sich kundtut. Denn die angestrebte Einheit entsteht durch das Zusammenspiel zahlloser innerer und äußerer Kräfte, die in uns auf immer neue Weise ein dynamisches Gleichgewicht erlangen.

Durch minimale Bewegungen erfährt man seinen Körper – er wird erfühlt und erspürt. Bewusst werden Blockaden wahrgenommen und aufgelöst. Es kommt zu einem positiven Erleben des eigenen Körpers. Bei der eutonischen Arbeit geht es nicht darum „sich zu entspannen – sich der Unterlage anzuvertrauen“, sondern um die Erarbeitung eines eutonen Spannungszustandes.

Ein Beispiel: Wir gehen mit unserer Aufmerksamkeit in einen bestimmten Körperteil – wir sind dort und bleiben dort. Durch eine Berührung – als Hilfsmittel können Finger, Kastanien, Bälle, Holzstäbe, Hirsesäckchen usw. dienen – oder eine minimale Bewegung werden wir uns dieses Teiles bewusst und erleben ihn. Wir spüren und erfahren die verschiedenen Qualitäten: die Haut, den Innenraum, die Knochen.

Die Haut

Die Haut steht für Kommunikationsmittel, Begrenzung, Umhüllung.
Die Haut als Organ, als lebendige Hülle, mit zahlreichen Innervationen des gesamten Organismus. Die Hautberührung, die uns Informationen über die Außenwelt vermittelt, teilt uns zugleich auch Wesentliches über uns selbst mit. Was wir berühren, berührt auch uns. Wenn wir uns der unterschiedlichen Berührungsqualitäten der Kleidungsstücke an unserem Körper oder der Gegenstände, mit denen wir uns umgeben, in einer globalen Wahrnehmung unseres Körpers in seiner Umwelt zu empfinden, bewusst machen, so bietet das in der ersten Zeit viele Möglichkeiten zu persönlichen Entdeckungen.

Körper-Innenraum

Der Körper-Innenraum steht für Atem, Zirkulation, Lebendigkeit.
In einer eutonischen Bewegungsstudie muss jedoch die gereifte Form, das Erleben des Körperinnenraumes mit seinem Kraftzentrum in der Wirbelsäule und der von emotionellen Spannungen befreite, schwingende Atem in der Bewegung (nicht in ruhiger Versenkung) zur Darstellung gelangen. Erst im dynamischen Spiel der Bewegung wird die Transparenz des eigenen Körperraumes in seiner lebendigen Beziehung zum ihn umgebenden Außenraum und zum Körperraum des Anderen erfahren – wodurch ein neues komplexes Bewusstsein entwickelt wird, das Innen und Außen gleichzeitig umfängt.

Knochen

Knochen stehen für Stabilität, Kraft und Kontinuität.
Das Knochenbewusstsein gibt uns innere Sicherheit und Widerstandsfähigkeit, die von großer Bedeutung ist. Eine schlaffe Haltung mit ihren Folgeerscheinungen ist der Ausdruck einer inneren Haltlosigkeit. Dem Erlebnis dieser inneren Kraft, die den Körper reflektorisch über die Skelettmuskulatur ohne jegliche willkürliche Muskelanstrengung aufrichtet, folgt die Entdeckung einer bisher unbekannten Beweglichkeit des Rückens. Denn durch die reflektorische Aufrichtung wird die äußere dynamische Muskulatur, die sonst in der gesamten körperlichen Erziehung als Haltungsmuskulatur verwendet wird, für die Bewegung frei. Die reflektorische Streckung der Skelettmuskulatur kann nicht nur von den Füßen, sondern von jeder beliebigen Stelle des Körpers bewusst ausgelöst werden. Dieser proprioceptive Reflex wird als „Transportreflex“ bezeichnet.

Eigene Erfahrungen

Schon in den ersten Unterrichtstunden nahm ich eine Veränderung meines Bewusstseinszustandes wahr. Zum ersten Mal spürte ich meinen Körper bewusst – und er fühlte sich gut an. Ich spürte mich lebendig und war voll Freude. Ich hatte ja auch allen Grund dazu, mich zu freuen, denn bis zu diesem Zeitpunkt nahm ich meinen Körper nur äußerlich wahr und spürte ihn bestenfalls nur wenn ich Schmerzen hatte. Gleichzeitig wurde mir auch bewusst, dass ich nicht von außen abhängig war – ich musste mir nicht jemanden suchen und ihn um Hilfe bitten – ich war es selbst, der sich helfen konnte. Ich konnte mich selbst vertrauensvoll annehmen und mich selbst hingeben. Ich erkannte, dass ich aktiv eingreifen konnte – die Situation mit gestalten konnte. Diese Erkenntnis hat mich tief berührt und ich erkannte damals auch eine Notwendigkeit in der eutonischen Arbeit – durch die Arbeit am eigenen Körper schafft man sich eine solide Basis, die es einem ermöglicht den Weg mit wesentlich mehr Lebensqualität zu gehen.

Was lernt man erfahren?

Als Schüler lernt man in der eutonischen Arbeit:

  1. dass die Integrierung bisher dem Bewusstsein entzogener, also unbewusster Körperzonen, ins Körperbild verdrängte emotionelle Erlebnisse zu Bewusstsein kommen lässt.
  2. dass durch bewusste Ordnung körperlicher Funktionen – von Tonus, Atmung, Haltung und Bewegung – das gestörte psychische Gleichgewicht wiederhergestellt werden kann.
  3. dass alle Arbeit, sei es „positiv“, d.h. vom richtigen Körperteil ausgehend, sei es „negativ“, d.h. von irrealen Vorstellungen ausgehend, sich immer entsprechend auf das Ganze der Persönlichkeit auswirkt, ob man sich dessen bewusst wird oder nicht.
  4. dass es eine eindeutige Trennung in „rein geistig“ und „nur körperlich“ nicht geben kann. Darum gilt es, das den Körper bis in seine innersten Teile durchwirkende Geistige – welches das persönliche und kollektive Unbewusste und zudem alle Stufen vergangener und künftiger Schöpfungsevolutionen mit einschließt – sich bewusst machen.

Die Arbeit an unserem Körper bringt uns Wohlgefühl und eine persönliche Sicherheit. Wir öffnen uns, können somit besser mit der Umwelt kommunizieren. Es kommt zu einer höheren Sensibilität für innere und äußere Einflüsse. Wir haben durch eine erhöhte Präsenz ein vollständiges Körperbild – somit eine gesamtkörperliche Wahrnehmungsfähigkeit und einen erhöhten Realitätsbezug. Wir erleben Freude in der Entwicklung der momentanen körperlich-geistigen Möglichkeiten – ein freies Erforschen der eigenen Möglichkeiten und Grenzen.

Das innere Leben, die Präsenz und die Schönheit, die auch die einfachste eutonische Bewegung ausstrahlt, sind unverwechselbar. Sie sind Ausdruck der zu Bewusstsein gekommenen körperlich-geistigen Einheit des Menschen